Vom Enstehen von Geschichten ...

Die Frage nach dem idealen Nährboden für gute Geschichten und Charaktere wird jeder Autor anders beantworten. Bei mir ist es die Visualisierung von Erlebtem, von Begegnungen und dem Gefühl, was in mir entsteht, wenn ich auf Menschen, Situationen und Orte treffe, die in Erinnerung bleiben, weil ihnen etwas Besonderes anhaftet – sei es etwas Spektakuläres oder nur eine flüchtige Nuance – doch in jedem Fall etwas, das mir noch unbekannt ist, eine Reibung erzeugt, nicht ins Bild passt, egal, ob es gerade von Freude, Humor, Liebe, Ärger, Trauer, Wut oder was auch immer erzählt. Deshalb reise ich so oft es geht und so weit es irgend möglich ist. Am liebsten ohne Ziel und ohne Plan, denn erst wenn ich ankomme, kann ich wissen, ob ich dort überhaupt sein möchte und verweilen will.

Durch solche Reisen entstehen oft meine Charaktere und Geschichten, oder aber sie werden trennschärfer, lebendiger und mit all den Widersprüchen ausgestattet, die sie benötigen, um über mehrere hundert Seiten zu tragen.

Ich habe immer drei Dinge auf Reisen dabei. Einen völlig veralteten eeepc, der klemmt, nervt und ruckelt, der im Jahre Windows 98 (anno MS) geboren wurde, Ewigkeiten braucht, um zu erwachen, aber günstig und leicht genug ist, in meinen Rucksack passt, und im Grunde auch geklaut werden dürfte, ohne, dass es meine Laune trüben sollte – was natürlich trotzdem passieren würde, denn er ist ein lieb gewonnener Teil von mir geworden, und nach jeder Reise reanimiere ich ihn mit allem, was Optimierungstools so hergeben.

Dann ist da natürlich meine Fotokamera, die mich IMMER begleitet und mir treue Dienste leistet, falls ich die Perspektive wechseln möchte, sobald ich etwas entdecke, was nicht nur gesehen, sondern auch erkannt werden will.

Weitere Fotos unter: http://haroon-gordon.com/fotos/

Ich bewundere all die guten Fotografen, diejenigen, die mit ihrem Auge zu komponieren scheinen und eine Szene beherrschen, obwohl sie doch auch nur Chronisten sind – so wäre ich manchmal gerne, das könnte ich bisweilen gerne. Aber dann erinnere ich mich, dass ich durch das Schreiben nicht nur ein Bild konservieren, sondern sogar so verändern kann, wie es gar nicht existiert. Das tröstet mich dann wieder ein wenig. (Denn eigentlich wäre ich gerne ein sehr viel besserer Fotograf :-))

Und zum Dritten ist es Musik und ein guter (!) Kopfhörer, die mich dann isolieren lassen, wenn niemand Anderer in einer Szene etwas zu suchen hat …

Im „PALAST AUS STAUB UND SAND“ gibt es einige Passagen, in denen sich Musik, Handlung und Sprache intensiv verweben. „Der Tod und das Mädchen“ Streichquartett Nr. 14 d-Moll D 810 von Franz Schubert (1824) ist Teil so einer Passage. Eine herausragende Interpretation wurde von den Übervätern der klassischen Streichquartette, dem Alban Berg Quartett, eingespielt, für deren Interpretation, Dynamik, Transparenz und Überlegenheit ich schon als junger Musikstudent  so geschwärmt habe, dass ich mich schon fast meiner Groupie-haften Attitüde hätte schämen müssen – wenn mir sowas nicht schon seit jeher herzlich egal gewesen wäre.

Die Vorlage stammt von Matthias Claudius (1740 – 1815):

Das Mädchen:

Vorüber! Ach vorüber!
Geh wilder Knochenmann!
Ich bin noch jung, geh Lieber!
Und rühre mich nicht an.
Der Tod:

Gib deine Hand, du schön und zart Gebild!
Bin Freund, und komme nicht, zu strafen:
Sei gutes Muts! ich bin nicht wild,
Sollst sanft in meinen Armen schlafen.

 

Apropos Überväter. Während der Zeit, in der ich den PALAST schrieb, habe ich die Auswahl und Menge zu hörender Musik streng limitiert. Es gibt nicht viel Musik, die mich nicht stört während ich schreibe, sondern inspiriert. Ein schönes Ritual ist damit verbunden. Zu warten, bis die Stadt und meine Freunde, die anrufen könnten, endlich schlafen. Das Licht dimmen oder sich in Kerzenschein hüllen. Musik nutzen, um tief in die Geschichte zu tauchen. Es entsteht ein Kokon, eine Zeitblase, in der kein Außen mehr existiert. Ein Gefühl, das süchtig macht.

Massive Attack produziert so eine Musik. Und es lohnt sich, statt 19,90 € PC Boxen eine anständige Anlage mit Subwoofer zu bemühen, und dabei auf komprimierende Formate zu verzichten.

Ich würde so gerne noch das Video von „Under Ice“ von Kate Bush einbinden. Die Musik, die Ella im PALAST so verzweifelt sucht und vermisst, als sie neben Jason liegt. Doch Rechteverletzungen als Schriftsteller zu begehen, erscheint mir absurd… Daher begnüge ich mich schweren Herzens mit der Empfehlung „Hounds of Love“ zu erstehen, die ersten Tracks zu ignorieren und ab „The Ninth Wave“ zu genießen, was Bush schon vor so vielen Jahrzehnten geschaffen hat!

Das Gleiche gilt für Bachs „Kunst der Fuge“, die Madame Dumont am Tage der Kapitulation Hitlers mitten in Abda spielt. Vor allem Glenn Goulds Aufnahme trifft eben jene Konnotation, die mir während des Schreibens dieser Passage immer vorschwebte. (Apropos Glenn Gould: erwähnte ich meinen Hang zum Groupie-tum schon?)

Und weil es so schön ist, neue Musik zu entdecken (und auch zu empfehlen), hier ein Werk, das garantiert noch niemand kennt, aber großartig, intelligent und endlich, endlich auch mal etwas NEUES für die Ohren ist – auch, wenn sie nichts mit der Entstehung irgendeiner meiner Romane oder Texte zu tun hat. Für diejenigen unter Euch, die „True Detective“ gesehen haben – das wären die perfekten Bilder zur Musik!



Wer wissen will, wer dieser großartige Musiker ist, der schreibt mir eine Mail und ich sende ihm den Link!

Ein Text über Inspirationen eines Schriftstellers ohne Bücher geht nun wahrlich nicht, daher möchte ich Euch meiner derzeitigen Favoriten nicht vorenthalten. Manche davon sind das, was der Engländer „All time favorites“ nennt, andere wiederum flüchtige Zeugen meines derzeitigen Gemütszustandes und keinesfalls vollständig.